Warum es nationale Produktionsstätten braucht
Immer mehr europäische Firmen überlegen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. So erwog laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer 2023 ein Drittel aller befragten Industrieunternehmen aufgrund der Energiepolitik in Deutschland eine Abwanderung beziehungsweise Verlagerung der Kapazitäten(1). „Oftmals zieht es auch Produktionsstätten pharmazeutischer Unternehmen etwa in Länder mit geringeren Energiekosten außerhalb Europas. Infolgedessen hängt die europäische Versorgung mit Arzneimitteln zunehmend auch von langen Lieferketten ab. Kommt es zu Lieferproblemen, besteht die Gefahr, dass die Patientensicherheit nicht mehr gewährleistet ist“, erläutert Chakib Lemzouri, Leiter für Gesundheitspolitik bei Bracco Imaging Deutschland GmbH.
Lange Lieferwege gefährden Patientenversorgung
Vor allem hohe Energiekosten, aber auch der zunehmende Fachkräftemangel und eine oftmals langsame Bürokratie hierzulande machen eine Verlagerung der Produktion nach beispielsweise Asien für viele Unternehmen attraktiver. „Die Auswirkungen der daraus resultierenden langen Lieferketten haben in den letzten Jahren bereits viele Patienten und deren Angehörige in Deutschland zu spüren bekommen, als unter anderem Fiebersäfte für Kinder oder Krebsmedikamente fehlten. Auch Lieferengpässe bei Kontrastmitteln nahmen zu, beispielsweise als 2022 der Hafen von Shanghai aufgrund des Lockdowns gesperrt wurde und ein internationaler Hersteller nicht wie geplant liefern konnte“, erklärt Lemzouri und ergänzt: „Und auch jetzt noch gibt es viele Versorgungsengpässe in Deutschland.“
Produktionsstandorte in Europa stärken
Um Engpässen entgegenzuwirken, müsste Deutschland beziehungsweise Europa unabhängiger von globalen Lieferketten werden. „Die Bracco Group hat insgesamt sieben Kontrastmittel-Produktionsstätten – die größte davon mit Sitz in Singen in Deutschland. Weitere vier sind in der Schweiz und Italien. Zudem befinden sich zwei unserer Anlagen zur Wirkstoff-Herstellung in Europa. All diese Produktionsstätten wollen wir nicht verlagern, um Kosten zu sparen. Denn nach unserer Auffassung lässt sich nur durch kurze Lieferketten die Versorgung der Krankenhäuser und Ärzte in Europa mit Kontrastmitteln wirklich gewährleisten und somit die Patientensicherheit stärken“, so Lemzouri. „In Europa zu bleiben, sollte für europäische Produktionsstätten aber nicht mit wirtschaftlichen Nachteilen einhergehen.“
Anreize schaffen
Für Kontrastmittelhersteller gestaltet es sich mittlerweile sehr schwer, in Deutschland wirtschaftlich zu arbeiten. Denn die Produktion ist nicht nur teuer geworden, sondern die gesetzlichen Krankenkassen wollen zudem für Kontrastmittel immer weniger zahlen. So wählen sie in einigen Bundesländern durch Exklusivausschreibungen den günstigsten Anbieter aus, der daraufhin als einziger in der jeweiligen KV-Region den Zuschlag bekommt und mit dem als einzigem ein Rabattvertrag geschlossen wird. „Dass nur der niedrigste Preis bei den Ausschreibungen eine Rolle spielt, halten wir für unverantwortlich. Aspekte wie Qualität, Patientensicherheit, Umweltfaktoren, Produktionsstandorte und die Lieferkettensicherheit müssten auch berücksichtigt werden“, betont Lemzouri.
Der Experte fordert: „Die Politik muss dringend etwas gegen die strukturellen Probleme unternehmen. Es gilt Anreize zu schaffen. Beispielsweise sollten Anbieter mit nationaler Produktion den Vorzug vor Herstellern mit Produktion außerhalb Europas bekommen. Dabei ist das Instrument von Exklusivausschreibungen bei so einer hohen Marktkonzentration, wie sie bei Kontrastmitteln existiert, genau falsch. Aus diesem Grund und vor dem Hintergrund des Urteils des Bundessozialgerichts vom 21. September 2023, Aktenzeichen B 3 KR 4/22 R, fordern wir die Krankenkassen auf, die Exklusivausschreibungen und die geschlossenen Rabattverträge unverzüglich zu beenden und eine der vielen vertraglichen Möglichkeiten zu nutzen, die uns der Gesetzgeber zur Verfügung stellt.“
Verfasser:
Chakib Lemzouri
Bracco Imaging Deutschland GmbH
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